Das Leben der Frühaufsteher

Es gibt zwei Arten von Wesen, die diese schöne neue Welt,beherrschen bzw. bewohnen  Zum einen sind da die Langschläfer und zum anderen die Frühaufsteher.

In diesem Kapitel will ich versuchen die Existenz der Frühaufsteher zu beweisen und eventuell auch ihr Leben zu erkunden.

Jahrhundertelang kannten sich die Langschläfer und die Frühaufsteher einander nicht. Später, als die Frühaufsteher durch Zufall entdeckt worden sind, gab es nur wenige Menschen, die an deren Existenz glauben wollten, da ihre Lebensart sehr unterschiedlich zu der unsrigen waren.

Was sind überhaupt Frühaufsteher oder genauer gesagt, wer sind sie und was bewegt diese Wesen eine andere Lebensart anzunehmen und aufrecht zu erhalten als die unsrige?

Um dieser Sache auf den Grund zu gehen, plante ich ein riskantes Unternehmen was, wie sich später herausstellen sollte, lebensgefährlich war.

Um den Tagesablauf eines Frühaufstehers genau beobachten und aufzeigen zu können, habe ich einen ganzen Tag meines Lebens geopfert, um der Wissenschaft wider einmal einen weiteren Schritt nach vorne verhelfen zu können.

Zur Vorbereitung meines Experiments wählte ich als erstes den Ort aus, wo ich diese Spezies am wahrscheinlichsten sehen und beobachten konnte. Als weiteres legte ich nun noch den Zeitpunkt fest und entschied mich für einen Herbstmorgen, da ich aus verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen erfuhr, das sich diese Wesen im Herbst besonders wohl fühlten und ich sie daher besonders gut studieren konnte.

Tage vorher, begann ich jedoch an mir seltsame Veränderungen zu bemerken. Sie begannen meinen täglichen Lebensablauf zu beeinträchtigen. Schon morgens wurde mir nach dem Aufstehen übel. Das Frühstück wollte mir nicht mehr schmecken. Beunruhigt ging ich zum Arzt, welcher mich aber beruhigen konnte und meinte, daß mit meiner Gesundheit alles in Ordnung sei und ich nur ein wenig überspannt wäre, was vielleicht auf mein bevorstehendes Experiment zurückzuführen sei. Etwas entspannter verließ ich die Praxis, welche dem Bruder meines Schwippschwagers gehörte und nahm dreimal am Tag die für mich verabreichten Aufbau- und Beruhigungstabletten. Doch es wollte sich kaum eine Besserung einstellen. Mir gelang es kaum noch ein Gespräch von über fünf Minuten mit klaren Gedanken zu führen, so daß ich wohl bei meiner letzten Unterhaltung nach kurzer Zeit leicht apathisch geklungen haben mußte, worauf sich mein Gesprächspartner etwas besorgt nach meinem Wohlbefinden erkundigte und unser Gespräch mit dem Wunsch der guten Besserung beendete und sich von mir verabschiedete.

An diesem und dem nächsten Tag ging es mit meiner Gesundheit stark bergab. Der Hunger ließ vollends nach und auch das abendliche entspannende Bierchen ließ meine Kräfte kaum zurückkommen, so daß ich am letzten Tag vor meinem Experiment noch künstlich ernährt werden mußte.

Meine Gedanken beschäftigten sich so mit meinem Experiment und dem damit verbundenem gesundheitlichen Risiko, dem früh aufstehen, daß mir der kalte Schweiß ausbrach. In dieser schweren Zeit war mir hin- und wieder die Überlegung gekommen, ob ich wirklich für die Wissenschaft mein Leben in Gefahr bringen sollte. Doch mein angeborener Ehrgeiz behielt die Oberhand und ich kämpfte bis zum geplanten Tag. Dann war es endlich soweit, mein Experiment konnte beginnen.

Um 5.00 Uhr morgens ging mein Radiowecker an. Im Unterbewußtsein hörte ich eine krächzende Stimme, die irgend etwas erzählte wovon ich nicht ein Wort verstand, da ich noch im Tiefschlaf lag. Doch dann drangen ein paar Zahlen in mein Gehirn. 5.00 Uhr. Meine Lebensfunktionen erhöhten sich und ich erwachte.

Mein Experiment hatte begonnen.

Nach einer fast schlaflosen Nacht, in der ich mich immer wieder voller Panik hin- und her geworfen habe, war ich wohl erst so gegen 4.00 Uhr eingeschlafen.

Nach einigen Fehlversuchen, schaffte ich es endlich mich aus dem Bett zu rollen, nachdem ich noch einen letzten neidischen Blich auf meinen Gatten geworfen habe, der voller Ruhe und Sorglosigkeit in seiner Bettdecke eingekuschelt war und nicht bemerkte, daß ich aufstand. Wie sollte er auch. Mit halb geschlossenen Augen tapste ich durch die dunkle Wohnung in Richtung Bad und hörte vereinzeltes erstauntes Miauen. Das mußten meine beiden Katzen gewesen sein, die völlig verstört waren, da sie es nicht gewohnt waren, um diese Uhrzeit geweckt zu werden. Im Bad angekommen versuchte ich erst einmal mit einigen wenigen warmen Tropfen meine Lebensgeister zu wecken. Nach einigen kleinen Hürden, die ich bravourös im Bad meistern konnte, ging ich in die Küche und trank zur Beruhigung noch ein paar Kannen Hagebuttentee. Danach trank ich noch einige Tassen Kaffee, damit ich wenigstens mit klaren und frischen Gedanken das Experiment angehen konnte.

Mit gemischten Gefühlen und ein wenig einsam verließ ich um 6.00 Uhr meine Wohnung. Würde ich sie je wieder sehen?

Mein erster Weg führte mich zur Untergrundbahn, welcher als morgendlicher Tummelplatz der Frühaufsteher bekannt war.

Beim Hineingehen in den dafür vorgesehenen Warteraum der Bahn, bemerkte ich einige dunkle Schatten, die mich sehr genau zu beobachten schienen und ich fühlte meine Angst langsam aufsteigen. Im nächsten Augenblick kam die Bahn und ich stieg ein.

In der Bahn, nahm ich in der Nähe des Ausgangs einen Sitzplatz ein, falls ich schnell die Flucht ergreifen mußte. Hier sollten sie sich also aufhalten.

DIE FRÜHAUFSTEHER

Aus Berichten wußte ich, daß sie Einzelgänger und sehr scheu sind und sich den Langschläfern bisher erste einige wenige male zeigten. Um meinen Erfolg auch beweisen zu können, steckte ich mein Aufnahmegerät und meinen Fotoapparat ein. Bereit zur Aufnahme pirschte ich mich langsam an eine etwas undeutliche Gestalt heran. Der Wind war günstig, denn die Fenster in der Bahn standen offen, so daß sie mich erst bemerkte, nachdem ich auf den Auslöser meiner Kamera drückte. Ich hatte eine fotografiert. Ich hatte einen Beweis für ihre Existenz. Völlig verschreckt vom Blitzlicht, ich mußte eines benutzen, da es an diesem scheußligen Ort dunkel war, flüchtete das Wesen. Doch es konnte ja nicht weit und nach kurzer Zeit hatte ich es eingeholt. Völlig verängstigt stand es jetzt vor mir und ich genoß diesen Augenblick des Triumphes. Doch dann stieg mein Mitleid in mir auf und ich redete beruhigend auf das Wesen ein. Nach einiger Zeit

wurde es ruhiger und wir setzten uns gemeinsam auf eine Bank. Ich muß sagen, sie, es schien eine sie zu sein, sah eigentlich nicht sehr viel anders aus als wir Langschläfer. Sie hatte zwei Beine, zwei Arme, Rumpf und einen Kopf mit allem was dazu gehört. Allerdings war die Haut sehr viel weißer als die unsrige, mit einem leicht gelblichen Schimmer und auch die Augen waren anders farbig, sie schienen kristallrot. Sie mußte wohl nur im Dunklen leben. Erstaunlicherweise konnte sie sogar reden und nannte mir ihren Namen. Petra Sandmann. Was für ein Erlebnis. Nachdem ich mein Aufnahmegerät gestartet hatte, begann ich mein Interview. Petra Sandmann war ein ruheloser und hektisch wirkender Mensch.

Mensch ? Nein, was rede ich.

Menschen waren sie ja nicht, aber was sind sie eigentlich!

Ich will sie hier einmal Spezies nennen. Also die Spezies Petra Sandmann war Beamtin bei einer staatlichen Institution und zuständig für die Stadtreinigung. Ihre Arbeit schien ihr sehr wichtig zu sein, da sie zu solch einer Zeit bereits auf dem Weg zur Arbeitsstelle war. Ich befragte sie noch, welche Hobbys sie hätte, doch sie

schaute mich nur verständnislos an und ich entschuldigte mich für diese Frage. Ich hätte gerne noch einige Fragen gestellt, doch Petra mußte aussteigen. Wir verabschiedeten uns zwar freundlich doch mit einer Spur Zurückhaltung. Ich war begeistert.

In Gedanken versunken stieg ich aus Versehen ebenfalls aus der Bahn und da standen sie. Ich mußte wohl beim Aussteigen beobachtet worden sein, so daß ich jetzt von einigen dieser Spezies umringt wurde. Sie waren also doch nicht nur Einzelgänger sondern traten auch in Herden

auf. Völlig verängstigt, sah ich meinem Leben einem schrecklichen Ende voraus. So stand ich also vor ihnen. Irgend etwas wurde ich gefragt. Tatsächlich auch eines dieser Wesen konnte reden, doch ich war viel zu überrascht, um nur ein Wort herauszubekommen.

Aber was geschah dann.

Die Wesen gingen weiter. Sie schienen an mir kein Interesse mehr zu haben. Erleichtert atmete ich auf. Langsam legte sich meine Angst und Nervosität. Bis zum Eintreffen des nächsten Zuges, um diesen schrecklichen Ort zu verlassen, versteckte ich mich hinter einer Notrufstelle, die Hand immer am Notrufhebel. Nach der Ankunft des Zuges sprang ich hinein, ohne zu wissen, in welche Richtung er fahren würde. Erst jetzt, als meine Anspannung langsam nachließ, begriff ich, welche Frage mir von diesem Wesen eben auf dem Bahnhof gestellt worden war. Er hatte mich doch tatsächlich gefragt, welcher Zug nach Hagelstein fahren würde. Was hatte diese Frage zu bedeuten. War es eine Falle, in die ich hinein tappen sollte. Ich bin jedoch glücklich, daß ich auf dieses Spielchen nicht eingegangen bin. Nur durch meine blitzgescheite Reaktion, des nicht Reagierens, haben diese Wesen mich nicht übertölpeln können. Mich legt man nicht so schnell rein.

Als ich mich im Abteil umsah, entdeckte ich vier weitere Frühaufsteher. Sie saßen zusammen auf einer Viererbank und schienen sich zu unterhalten. Wenn man bei denen von einer Unterhaltung sprechen kann. Ich setzte mich eine Bank hinter ihnen und rutschte unter den Sitz. Ich nahm mein Aufnahmegerät und schaltete dieses ein. Die Unterhaltung der Vier war sehr interessant und ich war überaus stolz, daß gerade ich diese Aufnahmen im Zuge

der Wissenschaft machen durfte. Die Themen allerdings waren mir fremd. Ein Mitarbeiter aus der Chefetage war aus dem 1. Stock gesprungen, eine Putzfrau war über ihren Wischmob gestolpert und hatte sich den kleinen Zeh gebrochen und die Spaghetties in der Kantine waren ungenießbar. Ich war irritiert. Wer war der Chef, vielleicht das Oberhaupt eines geheimen Bundes, das den Staat stürzen wollte. Und war die Putzfrau vielleicht die Helfershelferin, die versteckt im Wischmob geheime Unterlagen weitergab und diese in Notsituationen im Zeh versteckte und später dem Arzt weitergab. Oder versuchten sie durch die Verseuchung aller Kantinengerichte die Menschheit auszurotten! Nur der Sprung aus dem 1. Stock blieb mir schleierhaft. Fragen über Fragen. Es würde wohl einige Zeit dauern, bis wir herausbekommen, was diese Spezies wirklich im Schilde führen würde.

Ich hoffe, das es dann noch nicht zu spät ist!!!

Nach weiteren Zugfahrten nahm ich dann an einer Endhaltestelle ein Taxi und ließ mich nach Hause fahren.

Dort angekommen bereitete ich mir ein opulentes Mahl.

Kartoffelpuffer mit Kohlrabi und Knoblauchsahnesauce. Endlich konnte ich wieder essen und das auch noch mit Genuß.

Müde und erschöpft begab ich mich zur Ruhe und war mit mir und der Welt zufrieden.

Mein Experiment war ein voller Erfolg.

Wir sind nicht allein!